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Raketen und Böller in der Krise

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Seit 1863 wird in Augsburg Feuerwerk hergestellt. Doch das Geschäftsmodell steht auf dem Prüfstand: Böllern gilt als ungesund und umweltschädlich. Wie geht das Familienunternehmen damit um?

Von Andreas Herz, BR

Kein Fließband, keine große Fabrikhalle, nicht einmal ein sichtbares Firmenschild. Stattdessen 27 kleine Betonhäuschen, die so alt aussehen wie sie sind und sich über eine Fläche von acht Fußballfeldern verteilen. Dazwischen etliche alte Bäume. Die Produktionsstätte von Feuerwerk-Sauer in Augsburg wirkt wie aus der Zeit gefallen.

Der Grund dafür ist nicht mangelnder Wille zur Erneuerung, sondern die physikalische Eigenschaft des Schwarzpulvers. “Es sind gewisse Schutzabstände bei den einzelnen Produktionsschritten vorgeschrieben, damals wie heute”, erklärt Peter Sauer, der den 1863 gegründeten Betrieb in fünfter Generation führt. Deshalb wird noch immer in den kleinen Beton-Häuschen gearbeitet, die mindestens 15 Meter voneinander entfernt sein müssen.

Pandemie erzwingt Neuausrichtung

Als im Jahr 2020 das Coronavirus Deutschland lahmlegt, leidet neben vielen Branchen auch die Feuerwerks-Industrie. Silvesterpartys fallen aus und mit ihnen die Böllerei. Der Verkauf von Feuerwerks-Artikeln wird sogar untersagt. Krankenhäuser sollen nicht noch weiter belastet werden, so das Argument vor einem Jahr. Für Peter Sauer und sein Team bedeutet das Flaute in der Kasse. “Wir haben nur noch ein Drittel von dem verdient, was wir sonst eingenommen haben.”

Dass sie überhaupt noch Geld verdienen, liegt daran, dass Sauer seinen Betrieb neu ausrichtet. Zum Beispiel setzt er nun auf Signalfackeln. Sie werden von Marion Nagy gefertigt, die in einem der Häuschen aus langen, dünnen Pappröhren die Fackeln herstellt, die dann an die Polizei verkauft werden. “Ein Polizist hat mir berichtet, dass die elektronischen Blinkleuchten regelmäßig über den Haufen gefahren werden. Aber bei einer brennenden Fackel bremst jeder”, sagt Sauer.

In fünfter Generation in der Feuerwerksbranche – Peter Sauer (r.) kann sich ein Leben ohne Raketen und Böller nicht vorstellen. Bild: BR

“Bitte leise, umweltverträglich und tierfreundlich”

Aber natürlich kann ein Mann, dessen Familie seit 150 Jahren von Pulverdampf umgeben ist, nicht von heute auf morgen dem Kerngeschäft abschwören. Also fertigt er auch heute noch Feuerwerks-Artikel. Für einen Markt, der wie so viele andere von China dominiert wird. Und der seit einigen Jahren immer kritischer gesehen wird.

Denn Feuerwerk soll heute nicht mehr nur Staunen hervorrufen. Es soll auch leise, umweltverträglich und tierfreundlich sein. “Kunststoff ist weitestgehend eliminiert und durch Pappe ersetzt. Und wenn es stabiler sein muss, wird Tonerde verwendet. Das ist ein wichtiges Thema in der Branche. Da hat sich in den letzten Jahren viel getan”, sagt Sauer, der in erster Linie Profi-Feuerwerk herstellt.

Feinstaub belastet auch Tiere

Bleibt das Problem mit dem Feinstaub: Jährlich werden rund 2050 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt, der größte Teil davon in der Silvesternacht, schreibt das Umweltbundesamt. Dies entspreche etwa einem Prozent der insgesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland. Besonders in den Stunden nach Mitternacht treten demnach im Stundenmittel sehr hohe Messwerte auf. Von mehreren Tausend Mikrogramm pro Kubikmetern ist die Rede.

Sauer will das Problem nicht leugnen. Seine eigenen Bronchien seien durch die jahrzehntelange Arbeit im Böllerdunst beeinträchtigt. Aber man dürfe das Thema auch nicht dramatisieren. “Abgesehen von den Problemen mit den Bronchien bin ich gesund. Und ich habe sehr viel Feinstaub abbekommen.” Für die Allgemeinheit trete die Belastung nur in den Stunden nach dem Jahreswechsel auf.

Umweltverbände sehen solche Aussagen kritisch. Zumal auch Tiere unter der Böllerei leiden. Neben Haustieren seien vor allem Vögel betroffen, schreibt der Naturschutzbund Deutschland: “Sie fliehen in viel größere Höhen, landen für lange Zeit nicht und verlassen oft für mehrere Tage ihre Rast- und Schlafgebiete. Wasservögel reagieren sogar noch in zwei bis sieben Kilometern Entfernung auf Feuerwerk.”

Feuerwerk ohne Knall?

Sauer führt zum Testplatz der Firma und verankert eine Röhrenkonstruktion im Boden – die Abschussvorrichtung für Profi-Feuerwerk der Kategorie F4. Dann steckt er mehrere mit dünner Pappe umwickelte Kugeln in die Röhren. “Wir machen jetzt mal einen Test. Zuerst schießen wir ein herkömmliches Feuerwerk hoch und danach ein leises Produkt aus China.”

Telefonisch benachrichtigt Sauer die Feuerwehr und seinen Nachbarn über den geplanten Test, greift sich den elektronischen Zünder und entfernt sich rund 80 Meter von der Abschuss-Einrichtung. Dann zählt er bis drei und zündet. Meterhoch schlagen Funken und Flammen aus dem Rohr. Eine leuchtende Kugel steigt in den Himmel, die mit einem lauten Knall explodiert. Sternförmig fliegen goldene Effekte in den Abendhimmel. Das war das laute Produkt.

Dann das leise. Drei, zwei, eins, Peter Sauer zündet. Wieder schlagen Funken. Doch statt einem Knall folgt nun ein deutlich leiseres Ploppen. Kein sternförmiger Effekt. Stattdessen fallen bunte Kugeln nach unten. “Es war leiser, weil die Zerlegungskraft geringer ist, die Sprengladung kleiner war.” Etliche Kunden, bei denen Sauer Großfeuerwerke veranstaltet, verlangten inzwischen nach solchen leisen Produkten. “Bitte etwas leiser, aber genauso schön wie sonst. Das ist der Wunsch.” Doch diesen Wunsch kann er mit seinen Produkten nicht erfüllen.

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