Wien — Ein Skandal erschüttert Österreich. Vizekanzler und Chef der rechtsextremen FPÖ, Heinz-Christian Strache, soll nach Angaben von „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“ vor der Nationalratswahl 2017 bereit gewesen sein, einer angeblichen russischen Oligarchin als Gegenleistung für Wahlkampfhilfe öffentliche Aufträge zuzuschanzen. Dies gehe aus heimlich erstellten Videoaufnahmen hervor, die den beiden Medien zugespielt worden seien.
Strache hat am Samstagmittag angekündigt, als Konsequenz daraus als Vizekanzler zurückzutreten. Medienberichten zufolge kommt es jetzt zu Neuwahlen. Am Abend will sich Sebastian Kurz in einer Pressekonferenz zu dem Fall äußern. Die Nachrichtenagentur APA berichtete unter Berufung auf FPÖ-Kreise, Neuwahlen seien so gut wie sicher.
Österreichs Regierungskrise – Das Wichtigste in Kürze:
• Heinz-Christian Strache ist als Vizekanzler Österreichs zurückgetreten
• Anlass dafür ist ein an Medien gespieltes Video von 2007
• Darin verspricht Strache öffentliche Aufträge gegen Wahlkampfhilfe für eine angebliche russische Oligarchin
• Laut Regierungskreisen sind Neuwahlen wahrscheinlich
• Kanzler Kurz will sich am Abend in einer Pressekonferenz äußern
• Gegen 20.35 Uhr wird die Pressekonferenz von Präsident Alexander van der Bellen erwartet
Auch die Website „oe24“ berichtete unter Berufung auf ÖVP-Kreise, es werde zu vorgezogenen Neuwahlen kommen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wollte um 20.35 Uhr eine Erklärung abgeben. Die Frage, die sich auch unser Kommentator stellt, ist: Wem nützt der Rücktritt von Strache in Österreich?
Österreich: Kurz-Pressekonferenz verschiebt sich weiter
Die Pressekonferenz, in der Kanzler Sebastian Kurz sprechen soll, wird seit Stunden verschoben. Sie war im Anschluss an Straches Statement erwartet worden. Nun heißt es, Kurz werde sich um 19.45 Uhr zur Zukunft der Koalition mit der FPÖ äußern.
Vor dem Regierungssitz in Wien haben sich Tausende versammelt, die die Auflösung der Regierung und baldige Neuwahlen fordern. Nach Angaben der Polizei waren es zuletzt etwa 5000 Teilnehmer, die lautstark, aber friedlich demonstrierten. Unter den Demonstranten herrschte ausgelassene Partystimmung. Neben Neuwahlen wird auch der Abgang von Bundeskanzler Sebastian Kurz gefordert.
Vizakanzler Strache gibt an Hofer ab
Der Vizekanzler Strache hatte zuvor bekanntgegeben, er werde von all seinen Ämtern, auch von jenem als FPÖ-Obmann, zurücktreten. „Die Führung in der Partei wird ab sofort mein Stellvertreter Norbert Hofer übernehmen.“ Auch in der Regierung gilt Hofer als möglicher Nachfolger Straches. Er ist im Kabinett aktuell Verkehrsminister.
Auf dem besagten Video soll zu sehen sein, wie die Runde bei einem Treffen am 24. Juli 2017 auf der Ferieninsel Ibiza die Möglichkeit einer Übernahme der einflussreichen „Kronen Zeitung“ durch die angeblich schwer reiche Frau auslotete. Bei dem Treffen habe es sich offenbar um eine Falle gehandelt. Die Zeitung könne – so Strache – im Fall einer Übernahme kurz vor der Wahl zugunsten der FPÖ Partei ergreifen.
Strache-Video: Was hat Strache gesagt?
Strache sagt in dem Video, dass die FPÖ dann nicht mit 27, sondern 34 Prozent rechnen könne. Als Gegenzug für die Unterstützung sei zum Beispiel die Vergabe öffentlicher Aufträge an zu gründende Bau-Unternehmen der vermeintlichen Oligarchin denkbar. Die Frau habe sich als Nichte eines russischen Oligarchen ausgegeben und gesagt, sie wolle eine Viertelmilliarde Euro in Österreich investieren, berichten „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“.
Sie habe mehrmals angedeutet, dass es sich dabei um Schwarzgeld handeln könne. Trotzdem seien Strache und der heutige FPÖ-Politiker Johann Gudenus sechs Stunden lang bei dem Treffen sitzen geblieben und hätten über Anlagemöglichkeiten in Österreich diskutiert.
Strache und Gudenus räumten die Zusammenkunft gegenüber beiden Medien ein. Es sei ein rein privates Treffen in „lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre“ gewesen, teilte Strache schriftlich mit. „Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen.“
Johann Gudenus tritt als FPÖ-Fraktionschef zurück
Das gelte auch für „allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten“. „Im Übrigen“, so Strache, „gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere“.
Nach Heinz-Christian Strache (FPÖ) ist auch der FPÖ-Fraktionschef im Nationalrat, Johann Gudenus, wegen der Video-Affäre von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Diesen Schritt teilte der 42-Jährige am Samstag mit.
Angesichts der plötzlich aufgeflammten Regierungskrise in Österreich will Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag über die Zukunft der Koalition mit der FPÖ entscheiden. Der Regierungschef werde sich auf einer gegen Mittag erwarteten Pressekonferenz äußern, hieß es aus Regierungskreisen. Die Frage ist, ob nach dem angekündigten Rücktritt Straches auch Neuwahlen auf Österreich zukommen.
Strache-Video: Staatsanwaltschaft prüft juristische Konsequenzen
Das brisante Video wird laut Zeitung „Kurier“ von der Staatsanwaltschaft auf juristische Konsequenzen hin geprüft. Es stelle sich die Frage, ob es sich nur um Gerede gehandelt habe oder es konkrete Hinweise auf ein strafbares Verhalten gebe, zitiert das Blatt einen Sprecher des Justizministeriums.
Die Justiz werde bei den beiden Medien um das gesamte, ungeschnittene Videomaterial bitten und dann die erforderlichen Schritte setzen, sagte der Sprecher weiter. Ob Ermittlungen eingeleitet würden, sei deshalb noch offen. Die Prüfung des Videos sei der erste Schritt.
Die „Süddeutsche Zeitung“ betonte allerdings schon, dass sie die Originalaufnahmen nicht zur Verfügung stellen werde. Aus Gründen des Quellenschutzes mache man keine Angaben über die Herkunft. Leila Al-Serori von der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte im ORF-Fernsehen, dass man das Video bereits vor Monaten angeboten bekommen habe. Das Material sei dann vor einigen Wochen in einem verlassenen Hotel auf USB-Sticks übergeben worden.
Satiriker Jan Böhmermann kannte das Strache-Video offenbar schon
Auch dem deutschen Satiriker Jan Böhmermann seien die Aufnahmen angeboten worden, sagte Leila Al-Serori. Dieser habe den Fall jedoch nicht weiter recherchiert.
Allerdings deutete Böhmermann den Inhalt bereits im April an. Bei der Romy-Verleihung sprach Böhmermann offenbar über das Video. Bei einer eingespielten Videobotschaft sagte der Satiriker, dass er sich den Preis nicht persönlich abholen könne, weil er „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rumhänge“. Und am Donnerstag sagte er im „Neo Magazon Royal“: „Kann sein, dass morgen Österreich brennt.“
Andrea Nahles fordert Neuwahlen in Österreich
Die SPD-Chefin Andrea Nahles fordert ein Ende der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ: „In Österreich muss es Neuwahlen geben“, sagte Nahles dem „Spiegel“. „Ein einfacher Rücktritt von FPÖ-Chef Strache reicht nicht aus.“ Nahles wies darauf hin, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Rechtspopulisten in die Regierung gebracht habe. „Noch vor wenigen Wochen hat sich auch die Union im zweifelhaften Glanz der Konservativ-Rechts-Koalition aus Österreich gesonnt“.
Seit Monaten lavierten die europäischen Konservativen am rechten Rand, um dort noch Stimmen für die Europawahl zu sammeln. Und nun plötzlich bekomme die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kalte Füße und warne vor Rechtspopulisten. Das sei unglaubwürdig und mache einmal mehr deutlich: „Auf die Konservativen ist im Hinblick auf klare Kante gegen Rechts kein Verlass.“
Grüne fordern klare Abgrenzung der europäischen Christdemokraten von Rechtspopulisten
Die Grünen haben eine klare Abgrenzung der europäischen Christdemokraten von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen in ganz Europa gefordert. „Nicht nur Kanzler Kurz, sondern auch Europas Christdemokraten müssen aus diesem Skandal Konsequenzen ziehen“, sagte der Grünen-Spitzenkandidat zur Europawahl, Sven Giegold, unserer Redaktion.
Die Europäische Volkspartei (EVP), der Dachverband der christdemokratischen Parteien, müsse einen klaren Beschluss zur Abgrenzung von den Rechtsradikalen und Rechtspopulisten treffen. EVP-Europawahl -Spitzenkandidat Manfred Weber müsse sich entscheiden, ob er die Europäische Kommission führen oder Spitzenkandidat einer rechten Allianz sein wolle, sagte Giegold weiter: „Die Christdemokraten in Europa sollten ihre Allianzen mit Rechten wie der FPÖ in Österreich, den Vereinigten Patrioten in Bulgarien oder der radikalen VOX-Partei in Andalusien beenden und sich klar von Demokratiefeinden distanzieren.“