“Sei nicht zu streng mir mir, Kleine”, bittet Joe Biden auf der Bühne in Detroit seine Kontrahentin Kamala Harris. Sie erfüllt seine Bitte ebensowenig wie die anderen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten. Von allen Seiten prasseln die Attacken auf den Führenden der Umfragen ein. Er schlägt sich wacker. Die zweite Debatte der möglichen Trump-Bezwinger war aggressiver, markanter und detailreicher. Die 20 Bewerber für die Wahl 2020 griffen sich im US-Fernsehen scharf an. “Biden hat überlebt”, das wird mehr als drei Stunden später das spöttelnde Fazit eines US-Journalisten sein.
Wer ist der Sieger des öffentlichen Meinungskampfes? Umfragekönig Biden sicher nicht, aber eben auch nicht Harris. Die hatte ihren Widersacher bei der ersten Debatte vor einem Monat noch zerlegt. Diesmal aber rieben sich die beiden schlicht gegeneinander auf, ohne wirklich punkten zu können. Die lachenden Dritten, das sind Elizabeth Warren und Bernie Sanders, die sich am Abend zuvor in einer linken Allianz erfolgreich gegen die Gemäßigten in der Partei zur Wehr setzen. Die zwei Fraktionen ringen weiterhin um die Vorherrschaft bei den Demokraten. In der über zwei Abende verteilten Debatte im US-Bundesstaat Michigan wurde überdeutlich, dass sich der damit verbundene innerparteiliche Konflikt noch viele Monate fortsetzen wird.
Wie kann US-Präsident Donald Trump aus dem Weißen Haus vertrieben werden? Was sind die Antworten auf Rassismus, den Klimawandel und die fehlende Krankenversicherung für Dutzende Millionen Amerikaner? Oder geht es am Ende doch nur um die moralische Entscheidung für oder gegen den derzeitigen Präsidenten, wie es Umfragen nahelegen? Wie auch immer, eine Richtungswahl in der Demokratischen Partei wird irgendwann unausweichlich sein.
Angriffslust der Linken
Viel häufiger als bei der ersten Auseinandersetzung im Juni nannten die Bewerber diesmal den Namen des Widersachers. Das hat mit Trump selbst zu tun, der sich in der Zwischenzeit offen als machtversessener Rassistenversteher, oder sich sogar, je nach Auslegung, selbst als Rassist geoutet hat. Rassismus ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen, da es wirtschaftliche Fragen, Bildungsthemen, Infrastrukturentscheidungen und vieles mehr in der US-Gesellschaft betrifft. Zudem ist Trump wegen seines Verhaltens angreifbarer denn je.
Trump hat auch Obamacare entkernt und bislang keinen Ersatz eingeführt. Gewinnen die Demokraten die Wahl 2020, will der von Sanders und Warren angeführte linke Flügel eine öffentliche Krankenversicherung für alle einrichten und innerhalb von vier Jahren alle Privatversicherungen abschaffen. Alle anderen Bewerber streiten zumindest für eine wesentlich längere Übergangsphase, einen Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Krankenkasse oder wollen beide Möglichkeiten dauerhaft erhalten.
Sanders und Warren sahen sich am ersten Abend einer geeinten Front aus Gemäßigten gegenüber, gegen die sich die beiden bravourös verteidigten. Als Sanders etwa referierte, welche Vorteile die US-Bürger von “Medicare for all” hätten, warf Tim Ryan ein, das könne er doch gar sicher sagen. “Doch, ich habe das verdammte Gesetz geschrieben!”, bellte Sanders mit hochrotem Kopf zurück, und das Publikum jubelte über die Angriffslust. Warren und Sanders hatten offenbar einen Nichtangriffspakt geschlossen, was wegen der Nähe ihrer Positionen nachvollziehbar ist. Ihnen geht es zunächst einmal darum, möglichst viele Wähler für den linken Flügel zu begeistern. Je mehr moderate Bewerber im Laufe des Vorwahlkampfes auf der Strecke bleiben, desto größer werden ihre Chancen, am Ende tatsächlich gegen Trump antreten zu dürfen. Die Partei schlösse ihre Reihen hinter einem von ihnen, trotz aller Differenzen. Beim vergangenen Wahlkampf war es anders herum: Da hatte sich im Endspurt Sanders hinter Clinton stellen müssen, obwohl die beiden inhaltlich weit auseinander lagen.