Wenn selbst in Deutschland die Börsengänge boomen, dann muss die Wirtschaft wirklich gut laufen. Viele Unternehmen zwischen Nordsee und Alpen scheuen noch immer den Gang aufs sprichwörtliche Parkett. Zum einen fehlt generell die Affinität zum Kapitalmarkt, und vor allem viele Mittelständler wollen sich nicht dem Druck der Quartalsberichterstattung aussetzen. Zum anderen sind die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen in Deutschland grundsätzlich so gut, dass die Suche nach Kapital an der Börse oft nicht nötig ist. Doch 2018 haben sich bereits mehr als ein Dutzend Unternehmen für das Publikum geöffnet – und weitere Börsengänge sind in der Pipeline.
Siemens Healthineers und DWS im Fokus
Das wohl grösste noch in diesem Jahr ausstehende Initial Public Offering (IPO), wie Börsengänge im Branchenjargon genannt werden, ist wohl jenes von Knorr-Bremse, einem familiengeführten Hersteller von Bremssystemen für Züge, Zugtüren und Lastwagen. Die Transaktion soll im vierten Quartal über die Bühne gehen. Die dominierenden Eigentümer, der 77 Jahre alte Heinz Hermann Thiele und seine Familie, wollen sich mangels eines Nachfolgers von einem «bedeutenden Minderheitsanteil» – angeblich in Höhe von 25 bis 30% – am Unternehmen trennen. Beobachter attestierten der Münchner Firma, die 1905 in Berlin gegründet worden ist, einen vermuteten Wert von über 10 Mrd. €. Dem Unternehmen fliesst allerdings durch den Börsengang kein Geld zu, da der Eigentümer Thiele sein Erbe regelt. Vorerst will die Familie des «Weltmarktführers für Bremssysteme» aber einen Mehrheitsanteil am Unternehmen behalten.
Knorr-Bremse gehört zusammen mit Siemens Healthineers (16. März) und DWS (23. März), dem Asset-Management-Arm der Deutschen Bank, zu den wichtigsten IPO in diesem Jahr. Die beiden genannten Börsengänge brachten ein Volumen von 4,2 Mrd. und 1,3 Mrd. € auf die Waage. Die Entwicklung der Unternehmen seit dem Börsengang ist allerdings sehr unterschiedlich. Während die Titel der Siemens-Tochter Healthineers um rund 35% gestiegen sind, haben die Aktien von DWS um knapp 30% an Wert verloren. Die unterschiedliche Performance trifft auch auf andere Firmen zu, die in diesem Jahr an die Frankfurter Börse gegangen sind. Eine positive zweistellige Kursentwicklung verzeichnen beispielsweise Stemmer Imaging, NFON und Cyan, während eben DWS, Capsensixx und Godewind Immobilien zum Teil deutliche Verluste erlitten haben.
Jüngst hatte auch der Online-Möbelhändler Westwing Börsenpläne bekanntgegeben. Das Unternehmen, an dem die Startup-Entwickler von Rocket Internet (u. a. Zalando) beteiligt sind, will 120 Mio. € einnehmen. Auch der Elektroroller-Hersteller Govecs hat seine Börsenambitionen öffentlich gemacht. Das Unternehmen erwartet einen Erlös von etwa 90 Mio. €. Als weiterer Kandidat gilt laut Medienberichten der Anlagenhersteller Exyte, der angeblich ein Volumen von rund 1 Mrd. € erzielen könnte. Mit dem Wissenschaftsverlag Springer Nature hat allerdings auch ein Unternehmen seine Börsenabsichten begraben, weil der gewünschte Preis nicht erzielt werden konnte.
Weltweit 930 Börsengänge
Das Geschäft mit Neuemissionen brummt nicht nur in Deutschland, sondern läuft weltweit gut. Nach den Berechnungen einschlägiger Datenanbieter sind bis September knapp 930 Unternehmen an die Börse gegangen (+17%). Diese erzielten insgesamt ein Emissionsvolumen von 126 Mrd. $. Davon entfielen immerhin 8,7 Mrd. $ (oder 7%) auf Deutschland. Es gab schon viele Jahre mit schlechteren Werten für die Bundesrepublik. Sollten sich die IPO-Pläne von einigen Unternehmen noch 2018 erfüllen, dürfte sich das Volumen in Deutschland Ende des Jahres auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren.