60 Minuten – so lange dauerte das Kreuzverhör mit der Kanzlerin im Bundestag. Die Regierungsbefragung feiert eine gelungene Premiere, die der Demokratie gut tut. Dennoch sollten die Fraktionen nachbessern.
Langweilig, zu kurz, kein Erkenntnisgewinn – vor allem Vertreter von FDP, AfD und Linken äußerten sich nach der Regierungsbefragung der Kanzlerin enttäuscht. Unionspolitiker lobten dagegen den “souveränen” Auftritt von Angela Merkel. Was ist nun zu halten von dieser Premiere im Deutschen Bundestag? Die Regierungsbefragung war vielleicht keine Sternstunde des Parlaments, aber dennoch ist sie eine Bereicherung.
Im Vergleich zu oft trockenen und zähen Bundestagsdebatten hat die Fragestunde das Potenzial, das öffentliche Interesse und die Aufmerksamkeit für Politik zu beleben. Sie kann auch dazu beitragen, das Verständnis für politische Entscheidungen zu stärken und die Transparenz der parlamentarischen Demokratie zu fördern. Das Format zwingt die Regierung dazu, zu unangenehmen Themen Stellung zu nehmen, und zwar spontan. Die Fragen sind vorher nämlich nicht bekannt. Für die routinierte Kanzlerin ist das ein echter Stresstest. Auch wenn Merkel im Laufe der 60 Minuten weitgehend ruhig wirkte, war ihr die Anspannung zwischenzeitlich deutlich anzumerken. Etwa als sie beim Thema Bamf eindringlich versicherte: “Ich habe Herrn Weise unzählige Male gesprochen und ermuntert, uns alle Unzulänglichkeiten zu berichten.”
Was man anders machen könnte: Der Zeitrahmen könnte sicherlich größer sein, vielleicht 90 oder 120 Minuten, wie es die FDP fordert. Das Format lebt in dieser jetzigen Form zwar von der engen Taktung. Aber 30 Fragen zu vielen verschiedenen Themen in 60 Minuten gepresst, ist viel Inhalt in kurzer Zeit, vielleicht zu viel. Vor allem für Merkel bietet das Vorteile: Die Begrenzung auf 60 Sekunden pro Antwort zwingt sie zu einer prompten Reaktion, eine so kurze Zeit lässt sich jedoch auch schnell überbrücken. Bei komplexen Themen wird da ohnehin nur an der Oberfläche gekratzt. Auch die fehlende Möglichkeit zum Nachhaken kommt der Regierungschefin gelegen. Auf eine scharfe Frage zum Bamf folgt so eine verhältnismäßig harmlose Frage zum Umgang mit China. Sinnvoll wäre es, wenn zumindest eine Nachfrage erlaubt wäre. Das erschwert vage Antworten, die Merkel beispielsweise im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Botschafter gab, und kann die Debatte konkreter machen.
Es gilt jedoch auch: Wer schlechte Fragen stellt, darf sich hinterher nicht beschweren. Die Form verlangt nicht nur der Kanzlerin Disziplin und Souveränität ab. Sie zwingt auch die Fragesteller dazu, sich gut vorzubereiten und möglichst geschickt zu formulieren, um Merkel in die Enge zu treiben oder eine überraschende oder sogar entlarvende Antwort zu erhalten. Mit der richtigen Zuspitzung in der Frage lässt sich der Kanzlerin dann auch besser etwas Zählbares abringen. Heute ist dies, etwa bei den Themen Plastikmüll und Frauenförderung, zumindest teilweise gelungen. Auch die Fraktionen müssen sich, das war an diesem Mittwoch zu spüren, noch an die neue Befragungsrunde gewöhnen und hineinwachsen. Wenn das gelingt, könnte Merkel es eines Tages schwerer haben.
Überdenkenswert ist die Regelung, dass die Kanzlerin das Eingangsthema frei wählen und sich die erste Fragerunde nur darauf beziehen darf. So verstrichen die ersten 30 Minuten mit dem “Pflicht”-Thema G7-Gipfel. Andere Bereiche kamen dadurch zu kurz. Es wäre sinnvoll, auf das einer Regierungserklärung ähnelnde Einstiegsreferat zu verzichten und die Befragung thematisch von Anfang an zu öffnen. Noch etwas fiel auf: Die Regierungsbänke waren ebenso gut gefüllt wie das Plenum. Neben und hinter der Kanzlerin saß jedoch kaum ein Minister, sondern nur Staatssekretäre. Nicht nur die Regierungschefin, auch sämtliche Minister sollten zu regelmäßigen Fragestunden verpflichtet sein. Der Bamf-Skandal, der heute Thema war, ist dafür nur ein gutes Beispiel. Im Anbetracht der Tragweite der Flüchtlingspolitik wäre es schon in den Jahren 2015 bis 2017 sinnvoll gewesen, vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière zu erfahren, was die Bundesregierung dafür tut, um ihre Behörde für den Ausnahmezustand zu rüsten. Dies hätte auch in der Öffentlichkeit dazu beitragen können, die Emotionalität des Themas zumindest ein wenig zu beruhigen.
Vor allem in der Union gab es im Vorfeld große Abwehrreflexe gegen die Befragung. Die Zufriedenheit, die bei CDU und CSU nach dem Auftritt zu beobachten ist, könnte sich durchaus positiv auf die Bereitschaft zu kleineren Korrekturen auswirken. Auch wenn es noch einiges zu verbessern gibt, ist es erfreulich, dass dieses Format nun zum Standardrepertoire des bundespolitischen Fundus gehört.