Angekommen, integriert, berufstätig – viele Ukrainer möchten länger oder dauerhaft in Deutschland leben und arbeiten, so eine Studie. Doch dass beide Länder so unterschiedlich sind, ist eine Herausforderung.
Pavlo Kovalskyi ist Gründungsberater in Saarbrücken. Vor eineinhalb Jahren konnte der Ukrainer wegen des Krieges von einem auf den anderen Tag nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren. Da war er mit seiner Familie gerade im Skiurlaub in Österreich.
Über Bekannte landete er im Saarland. Dort hat der 36-Jährige mittlerweile eine 80-Prozent-Stelle als Gründungsberater am Institut für Technologietransfer an der HTW Saar und hilft anderen Ukrainern, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Er spricht inzwischen gut Deutsch und kann sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Seine Frau Bogdana Gusar versucht sich als Künstlerin einen Namen zu machen und die achtjährige Tochter Mia besucht die zweite Klasse einer Grundschule. Sie sind stolz darauf, keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, fühlen sich wohl in Saarbrücken und wollen bleiben. Gelungene Integration also.
Fast 50 Prozent wollen bleiben
Laut der Studie “Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland” (IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung) sagten 44 Prozent der Befragten, zumindest noch einige Jahre oder vielleicht auch für immer bleiben zu wollen. Es sind die Ergebnisse der zweiten Befragungswelle der Studie von Anfang 2023. Rund drei Viertel haben demnach eine private Unterkunft gefunden und etwa ein Fünftel geht einer Erwerbstätigkeit nach. Und noch noch deutlich höher ist der Anteil derer, die in näherer Zukunft eine Arbeit aufnehmen wollen.
Das bestätigt auch Kovalskyi, der seine Landsleute bei ihren Gründungsprojekten berät und unterstützt. Er kennt sich inzwischen gut aus, wenn es um die Unterschiede zwischen der Ukraine und Deutschland geht – vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. “Die Ukraine ist ein super junges kapitalistisches Land und Deutschland ist ein entwickeltes sehr bürokratisches Land. In der Ukraine kann man alles schnell machen – auch gründen. 15 Minuten online. Du bezahlst schon Steuer. Das war es.”
Bürokratie erschwert die Selbständigkeit
Arbeit ist für ihn der Schlüssel für eine gelungene Integration. “Viele Systeme funktionieren gut in Deutschland und für Leute, die ein normales ruhiges Leben mit Arbeit haben wollen – also unbefristete Arbeit, aber mit begrenzten Zeiten – kann das ein sehr entspanntes Land sein”, sagt Kovalskyi. “Ich weiß nicht, ob alle Unternehmer hier bleiben wollen, weil die Bürokratie so kompliziert ist. Aber für Leute, die als Angestellte arbeiten wollen, ist das ein super Land.”
Ansichten, die auch Michael Burda von der Humboldt-Universität in Berlin teilt. “Gründen ist in der Ukraine sehr unbürokratisch, weil die steuerliche Belastung geringer und der Fiskus weniger stark ist, allerdings öffnet es auch einfacher die Tür für Korruption. Für den ehrlichen Gründer ist die Ukraine ein tolles Land.”
Angestelltenverhältnisse seien dagegen weniger vorteilhaft. Das Lohnniveau sei in der Ukraine aufgrund der vielen Staatsbetriebe niedrig. Nach der Abspaltung von der Sowjetunion sei die Ukraine wirtschaftlich immer noch ein Entwicklungsland, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Kovalskyi war 15 Jahre lang Unternehmensberater in der Ukraine. “Dort suchen Arbeitgeber vor allem motivierte oder erfahrene Mitarbeiter. Die Ausbildung ist zweitrangig. In Deutschland geht dagegen nichts ohne den passenden Abschluss”, sagt er. Begeistert ist er dagegen von den deutschen Sozialversicherungssystemen: “Bei Schwierigkeiten ist man in der Ukraine auf sich allein gestellt. Hier bekommt man die Möglichkeit zu leben.”
Mysterium Datenschutz
Nur eine Sache versteht Kovalskyi in seiner neuen Heimat nicht: den Datenschutz. “Alle laufen mit Handys durch die Gegend, werden damit ohne Unterlass getrackt, geben alles von sich preis – und gleichzeitig darf man keine Daten weitergeben.” Aber er passt sich an die Gepflogenheiten seiner neuen Heimat an, hat sich auch an die “Halb-Digitalisierung” hierzulande gewöhnt: “Deutschland liebt Papier und ich werde meine Rechnungen jetzt auch für die nächsten zehn Jahre sammeln.”
Der 36-Jährige hofft nun auf eine Vollzeitstelle im Saarland. Und auch die deutsche Staatsbürgerschaft ist für ihn und seine Familie ein Thema. “Ich hoffe, das klappt irgendwie irgendwann. Ich spreche ganz gut Deutsch, habe eine Arbeit, meine Familie kriegt keine Hilfe vom Staat. Vielleicht kann ich irgendwann die Staatsangehörigkeit bekommen. Aber das ist noch ein langer Weg.”